Pazifische Sumpfschildkröte, Actinemys marmorata, – © H. Bradley Shaffer

Snover - 2015 - 01

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Snover, M. L., M. J. Adams, D. Ashton, J. B. Bettaso & H. H. Welsh Jr. (2015): Evidence of counter-gradient growth in western pond turtles (Actinemys marmorata) across thermal gradients. – Freshwater Biology 60(9): 1944-1963.

Der Nachweis eines gegenläufigen Wachstumsgradienten bei der Westlichen Sumpfschildkröte (Actinemys marmorata) über mehrere Temperaturgradienten hinweg.

DOI: 10.1111/fwb.12623 ➚

Pazifische Sumpfschildkröte, Actinemys marmorata, – © H. Bradley Shaffer
Pazifische Sumpfschildkröte,
Actinemys marmorata,
© H. Bradley Shaffer

Gegenläufiges-Gradientenwachstum, bei dem das Wachstum pro Temperatureinheit zunimmt obwohl die Temperatur sinkt führt dazu, dass die Unterschiedlichkeit der Zuwachsraten bei ektothermen Wachstumsraten innerhalb variabler Umweltgradienten abnimmt. Das Verständnis wie wechselwarme Arten auf unterschiedliche Temperaturen reagieren, ist essentiell wichtig für deren Erhaltungsmanagement, insbesondere in vom Menschen veränderten Habitaten und im Bezug zum Klimawandel. Hier untersuchten wir zwei unterschiedliche Populationen der Westlichen Sumpfschildkröte (Actinemys marmorata), um Modelle für künstlich erzeugte und schwankende Temperaturverläufe in Bezug auf die Wachstumsraten und deren Größe bei Erreichen der Geschlechtsreife zu analysieren. Die beiden Populationen leben in zwei unterschiedlichen Flussarmen des Trinity-Flusses im nördlichen Kalifornien, U.S.A. Der südliche Flussarm des Trinity-Fluss ist unreguliert (natürlich), während der Hauptflussarm durch einen Staudamm aufgestaut ist und dadurch im Abfluss des Staudamms ungefähr eine 10 ºC kältere Wassertemperatur aufweist als der natürlich belassene südliche Flussarm. In Übereinstimmung mit anderen Studien fanden wir bei den Schildkröten im kühleren Hauptflussarm reduzierte jährliche Zuwachsraten im Vergleich zu jenen im südlichen Flussarm. Das führte dazu, dass die Schildkröten im südlichen Flussarm die Geschlechtsreife 9 Jahre früher und bei einer durchschnittlich größeren Körpergröße erreichten als die Population im kühleren Hauptflussarm. Wenn wir aber die Wachstumsraten in Abhängigkeit von den Temperatur-abhängigen Wachstumsmöglichkeiten unter der Verwendung von Wassertemperaturabhängigen-Wachstumstagen (GDD) pro Jahr normalisierten, fanden wir eine Umkehr der Wachstumsrate und des Alters beim Erreichen der Geschlechtsreife. Die im kühleren Hauptflussarm lebenden Schildkröten wuchsen durchschnittlich doppelt so schnell pro Wassertemperaturabhängigen-Wachstumstag wie die im warmen südlichen Flussarm. Die Schildkröten im Hauptflussarm benötigten auch ungefähr 50 % weniger GDD’s um ihre Geschlechtsreife – wenn auch bei geringerer Größe – zu erreichen, im Vergleich zu den größeren Tieren im warmen südlichen Flussarm. Zudem fanden wir, dass wir für die Population im Hauptfluss anhand der Wassertemperaturaufzeichnungen in Kombination mit den Aufzeichnungen zur aus dem Staudamm abgelassen Wassermenge die Zuwachsraten sehr genau zurückberechnen konnten. Letztere Berechnungen liefern eine klare Methode zur Erfassung und Abschätzung der Auswirkungen, die der Staudamm auf die Schildkrötenpopulation und deren Wachstumsrate hat. Unter Berücksichtigung wie wichtig Größe und Alter bei Erreichen der Geschlechtsreife für die Populationsdynamik sind liefert diese Erkenntnis über „Gegenläufiges-Gradientenwachstum“ wesentliche Informationen für die Abschätzung der Auswirkungen die zukünftige Bauvorhaben für die unterhalb der Staumauer lebenden Schildkrötenpopulationen haben werden.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Hierbei handelt es sich um eine wirklich zukunftsweisende Untersuchung, die sehr viele wertvolle Erkenntnisse enthält und die auch neben den exakten Größenangaben mehr Daten enthält als im Abstract angesprochen werden. Insofern sollte diese Arbeit auch bei den Veterinären Beachtung finden, da sie deutlich macht wie Klima und Schildkrötenwachstum zusammenhängen und zu welchen Anpassungsleistungen der davon betroffenen Tiere es kommen kann, da auch hier im Freiland gehaltene Arten oft kühleren Temperaturen ausgesetzt sind als im Herkunftsland. Denn die Autoren untersuchten zusätzlich eine dritte Gruppe an Schildkröten, die viel weiter flussabwärts vom Staudamm im Hauptflussarm lebte und die sich damit in Wasser aufhielt, dessen Durchschnittstemperatur seit dem Austritt aus dem Stausee schon wieder etwas zugenommen hatte. Auch für diese Schildkröten ergaben sich dann intermediäre Zuwachsraten. Wer jetzt der Meinung sein sollte, es sei nur eine belanglose Spitzfindigkeit die Zuwachsraten auf Temperatur-abhängige Zuwachstage pro Jahr oder Lebensalter umzurechnen, der täuscht, denn schon seit längeren wenden gerade große Fischfarmen diese Methode an, um ihre Wirtschaftlichkeit zu berechnen und den Gewinn vorauszukalkulieren, denn davon hängt ihre Existenzgrundlage ab. Zudem kommt es bei den beiden Populationen zu wesentlichen Verhaltensveränderungen, denn die Schildkröten im warmen südlichen Flussarm nehmen ihre Sonnenbäder fast ausschließlich an der Wasseroberfläche in Flussabschnitten, die von einer dichten Baumkrone beschattet werden, während jene im Hauptflussarm auf ausgedehnte Sonnenbäder außerhalb des Wassers angewiesen sind (siehe dazu auch Loehr et al. 2015; Van Houtan et al. 2015). Sprich für sie sind entsprechende Sonnenbadeplätze wesentlich überlebenswichtiger als für die Population im südlichen Flussarm, die sich faktisch im warmen Oberflächenwasser treibend aufwärmt. Auch hier wieder im Hinblick auf den Klimawandel ein klarer Anhaltspunkt dafür, wie flexibel Schildkröten sich diesbezüglich anpassen können und zwar nicht nur morphologisch (Größe, Färbung) sondern auch physiologisch. Zudem lernen wir aber auch etwas über die Wachstumsphysiologie der Schildkröten. Denn wenn letztendlich – obwohl sie insgesamt kleiner bleiben – die Wachstumsgeschwindigkeit in der kühleren Umwelt pro Zeiteinheit, in der sie wachsen können, sich verdoppelt, muss das auch durch eine entsprechende Nahrungszufuhr begleitet werden. Insgesamt zeigt sich hier wieder die auch für Landschildkröten zutreffende Betrachtung einer Jahresenergiebilanz ab (siehe dazu Bidmon 2009), die uns lehren könnte, dass Schildkröten bei durchschnittlich niedrigerer Haltungstemperatur grundsätzlich dazu neigen pro Temperatureinheit (die Wachstum ermöglicht) schneller zu wachsen (sollte daran wie bislang immer behauptet nur zu reichhaltiges Futter Schuld sein?). Wie wurde nun diese Berechnung vorgenommen, denn das wäre ja eine Möglichkeit unsere Freilandhaltung besser einordnen zu können. Nun, die Autoren haben einen Schwellenwertwert für den Zuwachs für diese Spezies ermittelt und festgestellt, dass die Schildkröten ab +10 °C und darunter nicht mehr wachsen können. Im Anschluss daran haben sie dann die Tage pro Jahr oder Lebensalter aufsummiert an denen die Wassertemperatur (sprich Umgebungstemperatur) über +10 °C lag um die Anzahl der Tage zu ermitteln an denen die Schildkröten überhaupt in der Lage waren Stoffwechsel und Wachstum zu generieren. Die restlichen Tage konnten die Schildkröten nicht wachsen und sie konnten bestenfalls entweder eine Ruhephase einlegen oder vielleicht durch Sonnenbaden etwas Stoffwechselaktivität generieren aber eben ohne dabei Nahrung aufnehmen zu können, da sie im kalten Wasser zu schnell auskühlten. Letzteres zeigt aber auch wieder, dass Schildkröten an den Tagen, an denen sie nicht ruhen, aktiv mehr Nahrung aufnehmen, um dieses sogar im kühleren pro Zeiteinheit schnellere Wachstum zu realisieren (siehe auch Kommentar zu Ritz et al. 2009; 2010). Das zeigt also mal deutlich, dass wir bei der Beurteilung von Wachstumsgeschwindigkeiten bei Schildkröten die Ruhephasen mit berücksichtigen müssen und dass es eigentlich unnatürlich ist, nicht ruhende aktive Tiere durch Futterverknappung im Wachstum zu bremsen. Letzteres könnte sogar bei manchen Arten zu Reproduktionsausfällen führen, denn wenn eine Schildkrötenart wie das für Clemmys guttata beschrieben wurde sich nach der „bet-hatching-Hypothese“ fortpflanzt, könnte es durchaus sein, dass aktive Weibchen – wenn sie in der Zeit der Eireifung nicht genug Nahrung bekommen – diesen Zustand als zu schlecht für ihre Kondition empfinden und der Reproduktionserfolg ausbleibt. Auch die Infektionsabwehr kann darunter leiden, denn es geht ja eigentlich nicht nur um äußerlich messbares Wachstum, denn Antikörperbildung und Immunzellbildung gehören ebenfalls zum Überleben und verbrauchen Stoffwechselenergie.

Zudem zeigt sich hier auch wieder, dass dieses im Kontext des Temperaturregimes erfolgende Wachstum für die Tiere physikalische Vorteile mit sich bringt, denn kleinere flache Körper heizen sich beim Sonnenbaden schneller auf was für die Tiere auch essentiell ist. Insofern zeigt uns das auch wieder, dass physikalische abiotische Faktoren nicht nur den Organismus beeinflussen, sondern dass der Organismus sich diesen Bedingungen anpasst, auch ohne dass es sich dabei gleich um eine andere Art oder Unterart handeln muss.

Literatur

Bidmon, H.-J. (2009): Ernährungsgrundlagen und Darmpassagezeiten bei herbivoren Landschildkröten – oder wie selektierende Nahrungsgeneralisten auch unter extremen Bedingungen überleben: Eine Übersicht. – Schildkröten im Fokus 6(1): 3-26 ➚.

Litzgus, J. D., F. Bolton & A. I. Schulte-Hostedde (2008): Reproductive output depends on body condition in spotted Turtles (Clemmys guttata). – Copeia 2008(1): 86-92 oder Abstract-Archiv.

Ritz, J., C. Hammer & M. Clauss (2009): Body size development of captive and free-ranging leopard tortoises (Geochelone pardalis). – Zoo Biology 29(4): 517-525 oder Abstract-Archiv.

Ritz, J., E. M. Griebeler, R. Huber & M. Clauss (2010): Body size development of captive and free-ranging African spurred tortoises (Geochelone sulcata): high plasticity in reptilian growth rates. – Herpetological Journal 20(3): 213-216 oder Abstract-Archiv.

Van Houtan, K. S., J. M. Halley & W. Marks (2015): Terrestrial basking sea turtles are responding to spatio-temporal sea surface temperature patterns. – Biology Letters 11(1): 20140744 oder Abstract-Archiv.

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