Floreana-Riesenschildkröte, Chelonoidis niger, Zuchtweibchen Z7. Bei diesem Weibchen handelt es sich um eine Hybride mit hohem C. niger Anteil, welches zur Nachzucht von C. niger eingesetzt wird. – © Washington Tapia

Quinzin - 2019 - 01

Quinzin, M. C., J. Sandoval-Castillo, J. M. Miller, L. B. Beheregaray, M. A. Russello, E. A. Hunter, J. P. Gibbs, W. Tapia, F. Villalva & A. Caccone (2019): Genetically informed captive breeding of hybrids of an extinct species of Galapagos tortoise. – Conservation Biology 33(6): 1404-1414.

Genetisch geleitetes Nachzüchten einer ausgestorbenen Galapagos-Landschildkröte mittels Hybriden.

DOI: 10.1111/cobi.13319 ➚

Galapagos-Riesenschildkröte, Chelonoidis nigra, – © Hans-Jürgen Bidmon
Galapagos-Riesenschildkröte,
Chelonoidis nigra,
wird mit einem Apfel
aus der Unterkunft gelockt
© Hans-Jürgen Bidmon

Hybridisierung stellt ein großes Problem für die Arterhaltung dar, da es die genetische Integrität und das Anpassungspotential von Arten beeinträchtigt. Trotzdem kann die Hybridisierung einzigartige Möglichkeiten zur Arterhaltung bieten, wenn das Genom eines ausgestorbenen Taxons noch in lebenden Hybriden vorhanden ist, sodass durch selektive Nachzucht eine Wiederherstellung der ausgestorbenen Spezies möglich wird. In dieser Arbeit erforschen wir wie eine Nachzuchtstrategie in menschlicher Obhut für eine Galapagos-Schildkröte etabliert werden kann, die darauf basiert Nachzuchtindividuen mit gemischter Abstammung zu verwenden in der das Genom der ausgestorbenen Art noch vorkommt. Bei den Ausgangsindividuen für die Erhaltungsnachzucht handelt es sich um Hybriden aus der ausgestorbenen Spezies die auf der Insel Florena (Chelonoides niger) heimisch war und der noch vorhanden Spezies C. becki die erst vor kurzem auf dem Wolf-Vulkan der Insel Isabela entdeckt worden waren. Dazu wurden die genomtypischen Daten von 35 Landschildkröten mit hohen Abstammungswerten von C. niger zeitlichen Voraussimulationen unterzogen, um zu testen wie sich eine Gefangenschaftsnachzuchtstrategie entwickeln lässt, die zum einen die Genetische–Diversität wie auch die C. niger-Abstammung maximiert und die zum anderen sich an den Ausgangsressourcen, der Biologie der Zielart orientiert und der Notwendigkeit Landschildkröten so schnell wie möglich auf Florena als Ökosystemrestaurier anzusiedeln gerecht wird. Unsere Simulationen zeigen, dass es möglich ist die Genetische-Diversität insgesamt zu erhalten wobei auch die Möglichkeit gegeben ist dabei substantielle Teile des C. niger-Genoms das in der verfügbaren Nachzuchtgruppe vorhanden ist durch selektive Zucht aufzubauen, insbesondere dann wenn die potentiellen Nachkommen auf Florena ausgewildert werden anstatt sie als zusätzliche Nachzuchtindividuen einzusetzen. Unsere Studie liefert eine richtungsweisende Anleitung für die Nutzung von Hybriden mit genomischen Anteilen von ausgestorbenen Taxa in „Artwiederherstellungszuchtprogrammen“ und sie liefert Erkenntnisse für die derzeit stattfinde Debate über den Wert von Hybriden in der Biodiversitätserhaltung. Werteinschätzung für diesen Artikel: Hybridindividuen stellen unersetzliche genomische Ressourcen dar die für die Gefangenschaftsnachzucht und Artwiederherstellung von ausgestorbenen Galapagos-Riesenschildkröten genutzt werden können.

Floreana-Riesenschildkröte, Chelonoidis niger, – © Washington Tapia
Floreana-Riesenschildkröte,
Chelonoidis niger, Zuchtweibchen Z7. Bei diesem Weibchen handelt es sich um eine Hybride aus C. becki und C. niger mit hohem C. niger Anteil, welches zur Nachzucht von C. niger eingesetzt wird.
© Washington Tapia

Kommentar von H.-J. Bidmon

Hierbei handelt es sich um ein sehr wertvolles Beispiel dafür wie auch Reptilienhybriden zur Restaurierung von ausgestorbenen Schildkrötenspezies genutzt werden können. Dem kann man sich nur anschließen! Was mir aber an dieser Arbeit in Einleitung und Diskussion weniger gefällt ist, dass die Autoren warum auch immer den generellen Nutzen von Hybriden nicht auf einer breiteren biologischen Basis unterstreichen. Letzteres kommt hier insbesondere schon im ersten Satz des Abstracts zum Tragen. Dies kann zum einen daran liegen, dass sie eigentlich mit ihrer Arbeit argumentativ einen Spagat leisten müssen: Denn zum einen ist eben die Art- oder Unterartreinreinheit der inselspezifischen Riesenschildkrötenformen ein wesentliches Charakteristikum für den Galapagosarchipel den man nicht untergraben möchte, zum anderen wollen sie aber dazu beitragen ausgestorbene Taxa wieder durch Nachzucht zu etablieren. Allerdings bin ich der Meinung, dass sowohl die bislang bekannt gewordenen Fakten für die Galapagosinseln und zwar sowohl für deren Vogel- und Meerechsenfauna wie auch für deren Schildkrötenfauna eher für einen Nutzen der Hybridbildung im Fortbestand der Arten und Insel-spezifischen Populationen sprechen (z. B. Hedrick, 2019). Hier scheint Hybridisierung die gleiche Rolle wie auch anderswo auf der Welt zu spielen (z. B. Sagonas et al., 2019). Hybridisierung taucht mittlerweile so häufig in allen Phyla (Stämmen) auf, dass man deren Potential für Adaptation (Umweltanpassung) und Artneubildung noch gar nicht so richtig erkannt hat. Das einseitige Argument, dass man dabei erstmal nur Arten verliert, (nach dem Motto aus Zwei wird Eine : Despeziation) ist zu kurz gedacht. Es sollte mich wirklich nicht wundern, wenn sich zukünftig herausstellen sollte, dass sich Hybridisierung und Introgression zum Überlebenserfolg auf diesem Planeten herauskristallisieren, denn letztendlich hat es schon viele solche auf den ersten Blick aus menschlicher „Vorbeurteilung“ nachteilig erscheinenden Phänomene in der Evolution gegeben. Eines der einleuchtendsten Beispiele dürfte wohl die Evolution der Zweigeschlechtlichkeit darstellen, denn die ging damit einher, dass sich erstmal die Zahl der direkten Nachkommen halbierte und dennoch brachte sie so viele überlebensnotwendige Vorteile, dass sie heute zu einer der dominanten Fortpflanzungsstrategien wurde. Gerade für eierlegende Reptilien wurde erst jüngst wieder ein eindrucksvolles Beispiel dafür bei unseren europäischen Echsenarten beschrieben (Sagonas et al., 2019) die sehr klar die Vorteile sowohl für die Genetische-Diversität wie auch für das Immunsystem und Krankheitserregerabwehr herausstellt. Wir sollten uns langsam den neuen Erkenntnissen öffnen und die Dynamik in diesen biologischen Prozessabläufen begreifen. Speziation und optimale Nischenaufteilung und Nutzung gehören dazu genauso wie Hybridisierung und Introgression. Es sind die zwei Seiten von ein und derselben Evolutionsmedaille. Siehe dazu auch Bidmon (2019).

Literatur

Bidmon, H.-J. (2019): Kommentar zu: Scott, P. A., T. C. Glenn & L. J. Rissler (2018): Formation of a recent hybrid zone offers insight to the geographic puzzle and maintenance of species boundaries in musk turtles. – Molecular Ecology 28(4): 761-771 oder Abstract-Archiv.

Hedrick, P. W. (2019): Galapagos Islands Endemic Vertebrates: A Population Genetics Perspective. – Journal of Heredity 110(2): 137-157 oder Abstract-Archiv.

Sagonas, K., A. Runemark, A. Antoniou, P. Lymberakis, P. Pafilis, E. D. Valakos, N. Poulakakis & B. Hansson (2019): Selection, drift, and introgression shape MHC polymorphism in lizards. – Heredity (Edinb) 122(4): 468-484 oder Abstract-Archiv.

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