Gewöhnliche Moschusschildkröte, Sternotherus odoratus, – © Hans-Jürgen Bidmon

Natchev - 2011 - 01

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Natchev, N., E. Heiss, K. Singer, S. Kummer, D. Salaberger & J. Weisgram (2011): Structure and function of the feeding apparatus in the common musk turtle Sternotherus odoratus (Chelonia, Kinosternidae). – Contributions to Zoology 80(2): 143-156.

Struktur und Funktion des Fressapparats bei der Gewöhnlichen Moschusschildkröte, Sternotherus odoratus (Chelonia, Kinosternidae).

DOI: 10.1163/18759866-08002004 ➚

Gewöhnliche Moschusschildkröte, Sternotherus odoratus, – © Hans-Jürgen Bidmon
Gewöhnliche Moschusschildkröte,
Sternotherus odoratus,
© Hans-Jürgen Bidmon

Die vorliegende Studie untersucht die kinematischen Bewegungsabläufe bei der initialen Nahrungsaufnahme, den Nahrungstransport und deren Packung im Rachenraum (Pharynx) sowie den Schluckakt bei der Gewöhnlichen Moschusschildkröte, Sternotherus odoratus. Diese Daten werden durch morphologische Beschreibungen des Schädels und des Zungenbeinkomplexes ergänzt. Obwohl das Zungenbein bei dieser Spezies hauptsächlich aus Knorpel besteht, wird es von S. odoratus ausschließlich für einen hydrodynamischen Mechanismus zum Beutefang und Beutetransport (Einsaugen mit dem Wasserstrom) eingesetzt. Die Zunge ist relativ klein, mit nur schwach entwickelter innerer Muskulatur. Wir vermuten, dass die Elastizität des Hypoglossums und des Zungenbeins einen Einfluss auf die Fähigkeit des Saugfressens bei S. odoratus hat, es den Tieren aber erlaubt, die Nahrung in der Mundhöhle für den Schluckakt effektiv zu repositionieren und die Packung der Nahrung im Rachen zu kontrollieren. Wir standardisierten die Bedingungen für jeden Fressakt, indem wir immer Nahrung gleicher Konsistenz und Größe benutzten und indem wir sie immer an derselben Stelle am Boden des Aquariums anboten. Trotz dieser Maßnahme variierten die gemessenen kinematischen Werte stark. Die Dauer des Beutefangs und die Nahrungstransportzyklen (Beißen, Schlucken) waren im Vergleich zu anderen Wasserschildkröten, die wir bislang untersuchten, bei S. odoratus relativ lang. Die Initiation (Auslösen) des Zungenbeinzurückziehens in Bezug zum Öffnen der Kiefer kann sowohl während des Beutefangs als auch während der Beutetransportzyklen moduliert werden. Bei der Gewöhnlichen Moschusschildkröte zeigen die Kiefer- und Zungenbeinbewegungen ein niedriges Maß an Integration.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Auch hier wieder eine Arbeit, die zwar grundlegende Daten zur Schädel- und Rachenmorphologie einer Schildkrötenspezies liefert, bei der aber wissenschaftliche Fragestellung und Dateninterpretation sehr fragwürdig sind, wenn sie überhaupt je gestellt wurden. Denn welchen Sinn ergibt es, den Beutefang und den Nahrungsaufnahmemechanismus zu untersuchen und die Ergebnisse interpretieren zu wollen, ohne dabei auf die natürliche Nahrung dieser Schildkröten einzugehen. Dass diese Schildkröten ja schon seit über sehr lange Zeiträume hinweg in ihren Ursprungshabitaten überlebt haben und an die dort vorherrschenden Nahrungsbedingungen angepasst sind, lehrt uns hier schon allein die Beobachtung, dass ihre Nahrungsaufnahmemechanismen und die damit im Zusammenhang stehende Morphologie – wenn nicht optimal – dann doch zumindest ausreichend für ein Überleben sein müssen. Diese Schildkröten sind sehr wohl in der Lage, sehr schnell und zielsicher zuschnappen zu können und selbst hartschalige Beute zu zerbeißen und aufzunehmen. Ja, ich möchte fast sagen, die Beißkraft sogar der Beutegröße und Beutebeschaffenheit anzupassen, ein Aspekt, den man bei der Verabreichung standardisierter Beute gar nicht miterfassen kann. Zumal bei einer standardisierten Futtergabe von unbeweglichem Futter auch eine Konditionierung eintritt, bei der die Tiere lernen, dass die Geschwindigkeit keine große Rolle spielt und sie deshalb auch unter Standardbedingungen zu einer hohen Variabilität bei den Abläufen der Nahrungsaufnahme neigen. Hier bleiben mit Ausnahme der morphologischen Beschreibung der beteiligten Schädelkomponenten die eigentlichen biologischen Aspekte und deren Relevanz fast völlig unadressiert. Wenn man also solche Untersuchungen mit hohem gerätetechnischen Aufwand schon durchführt, sollte man sie doch so weit voranbringen, dass man wirklich eine sinnvolle Beziehung zwischen morphologischer Anpassung und ökophysiologischer Lebensraumeinnischung herstellen kann, die einen verstehen lässt, warum etwas so ist, wie man es in der Natur vorfindet. Denn wenn es eine grundsätzliche Aussage für lebende biologische Systeme geben mag, dann doch die: In biologischen Systemen verhält es sich auf allen Organisationsebenen immer so wie im „richtigen Leben“! Denn alle Lebensformen, die diese Bedingung nicht mehr erfüllen, gehören besten falls zum „fossil record“ aber nicht mehr zu lebendigen biologischen Systemen.

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