Galapagos-Riesenschildkröte, Chelonoidis nigra, wird mit einem Apfel aus der Unterkunft gelockt – © Hans-Jürgen Bidmon

Miller - 2018 - 01

Miller, J. M., M. C. Quinzin, E. H. Scheibe, C. Ciofi, F. Villalva, W. Tapia & A. Caccone (2018): Genetic Pedigree Analysis of the Pilot Breeding Program for the Rediscovered Galapagos Giant Tortoise from Floreana Island. – Journal of Heredity 109(6): 620-630.

Die genetische Abstammungsanalyse im Pilotnachzuchtprogramm für die wiederentdeckte Galapagosriesenschildkröte von der Insel Florena.

DOI: 10.1093/jhered/esy010 ➚

Galapagos-Riesenschildkröte, Chelonoidis nigra, – © Hans-Jürgen Bidmon
Galapagos-Riesenschildkröte,
Chelonoidis nigra,
wird mit einem Apfel
aus der Unterkunft gelockt
© Hans-Jürgen Bidmon

Das Ziel vieler Zuchtprogramme in menschlicher Obhut ist es die Populationsgröße zu steigern um damit Wiederansiedlungsprogramme zu ermöglichen und um sich selbst erhaltende wildlebende Populationen aufzubauen. Den genetischen Analysen kommt dabei eine wichtige Rolle zu um die genetische Variationsbreite innerhalb dieser Programme zu evaluieren und die Abstammung der Individuen zu erfassen und Elternschaften zu ermitteln um die Familiengrößen zu bestimmen. Hier benutzten wir genetische Abstammungsanalysen um über die ersten drei Nachzuchtsaisons im Pilotnachzuchtprogramm für die Florena Galapagosriesenschildkröte, C. niger(elephantopus) die Verwandtschaftsbeziehungen zu ermitteln. Letztere galt ja für etwa 150 Jahre als ausgestorben bis einige Individuen mit gemischter Abstammung (Hybriden) neu entdeckt wurden. Wir ermittelten, dass acht der neun Gründerindividuen mindestens einen der 130 Nachkommen gezeugt hatte, so dass es zu einer ziemlich einseitig verschobenen Reproduktionsbeteiligung gekommen ist. Zudem beobachteten wir, dass die genetische Diversität der Nachkommen niedriger war als jene der Gründer-Elterntiere. Trotz dieser beobachteten Reproduktionseinseitigkeit und anhand der Verwandtschaftsanalysen stellten wir keine Anzeichen für eine einseitige Paarungspartnerbevorzugung fest, aber wir stellten einen Trend dahingehend fest, dass es zu einer reduzierten Fitness kam wenn naheverwandte Individuen Nachwuchs zeugten. Zu guter Letzt fanden wir, dass die meisten der Nachkommen eine deutliche Florena-Abstammung zeigten (Mittelwert±SE = 0.51±0.02) obwohl die individuellen Abschätzungen noch schwankten .Der Erfolg dieser Pilotperiode spricht für den Aufbau eines größeren Nachzuchtprogramms um die vor kurzem noch als ausgestorben geglaubte Florenalandschildkröte auf der Insel wieder zu etablieren. Zukünftige Untersuchungen müssen diese einseitige Reproduktionsverschiebung überwachen und dazu beitragen Reproduktionspartnerbevorzugungen zu minimieren um die allelische Diversität zu erhalten. Wir empfehlen zudem die Bildung von kleineren Nachzuchtgruppen und dabei die Zuchtindividuen im Rotationsprinzip auszutauschen um langanhaltende, einseitige Reproduktionsverschiebungen bzw. Paarungspartnerbevorzugungen zu minimieren.

Kommentar von H.-J. Bidmon

Nun diese Arbeit liefert erste Ergebnisse aus dem Nachzuchtprogramm für die Florena-Galapagosriesenschildkröte. Die Zucht wird mit den Elterntieren durchgeführt die als Hybriden wiederentdeckt worden waren (siehe Garrick et al., 2012; Hennessy, 2015). Sicher ist es hier noch zu früh um eindeutig sagen zu können, dass sich eingeschränkter Genfluss in eine Richtung abzeichnet, da die Elterntiere ja immer noch eine hohe genetische Diversität mitbringen obwohl einseitige Paarungen vorkommen. Dennoch lässt die Arbeit aufhorchen, denn unter den elterlichen Hybriden scheint es doch auch nahe verwandte Exemplare oder gar Geschwisterexemplare zugeben deren Nachwuchs jetzt schon wie erwähnt Fitnesseinbußen zeigt. Ich denke hier wird dieses Phänomen erstmals für Schildkröten klar erwähnt und es deutet sich an, dass bei Schildkröten eine Inzuchtdepression zum Tragen kommen kann! Etwas das früher ja oft von einigen so nicht wahrgenommen werden wollte, wenn man sich an so manche Diskussion zurückerinnert, die so etwas zwar für Säugetiere akzeptierten, aber für die angeblich „niedriger stehenden“ Reptilien als nicht zutreffend abtaten (siehe dazu die Übersicht Bidmon, 2017, und die Kommentare zu Caballero et al., 2017, Fantin et al., 2017, Dresser et al., 2017, Rogers & Slatkin, 2017). Auch in unseren eigenen Haltungen kann so etwas zum Tragen kommen wenn wir mit eigenen ausgewählten Nachzuchten von wenigen Elterntieren in der F1 oder gar schon in der F2 Generation züchten (Ja und dagegen helfen auch keine noch so guten Haltungsbedingungen oder Nachzuchtzertifikate). Es ist mittlerweile viel über den Einfluss der Temperatur auf die Ausprägung von Schildanomalien bekannt, dennoch hege ich auch den Verdacht, dass die Prädispositionen für Schildanomalien an bestimmten Carapaxschildern auch vererbt werden können, denn es ist gerade bei Spaltenschildkröten sehr oft zu beobachten, dass die Jungen am gleichen Schild(ern) wie ein Elterntier die fast gleiche Anomalie zeigen. Sicher mag da immer noch die Temperatur das Ausschlaggebende sein, aber wie von Zimm et al., (2017) beschrieben scheinen hier Zytokingradienten per Diffusion zu wirken die durch Wärme und Trockenheit beeinflussbar sind aber eben die genetische oder epigenetische Expressionssteuerung zur Synthese der Zytokine kann hier erblich bedingt nahe an einer Konzentrationsgrenze liegen die eben dazu beiträgt das an dieser Stelle schon geringste Temperaturanstiege schon Folgen zeitigen die andernorts erst bei viel höheren Temperaturen zum Tragen kommen würden. Wir befinden uns hier wohl an einer Schnittstelle wo Genetik, Epigenetik und Umwelteinflüsse zusammenwirken und die Entwicklung des Phänotyps steuern. Vielleicht wäre das ja sogar ein attraktives Tiermodell zur Erforschung solch grundlegender Prozesse der Morphogenese!

Literatur

Bidmon, H.-J. (2017): Sind phylogenetische Stammbäume nur ein Traum? – Schildkröten im Fokus 14(1): 14-27 ➚.

Caballero, A., I. Bravo & J. Wang (2017): Inbreeding load and purging: implications for the short-term survival and the conservation management of small Populations. – Heredity 118(2): 177-185 oder Abstract-Archiv.

Dresser, C. M., Ogle, R. M. & B. M. Fitzpatrick (2017): Genome scale assessment of a species translocation program. – Conservation Genetics 18: 1191-1199 oder Abstract-Archiv.

Fantin, C., J. Morais, R. Botero-Arias, C. Araújo, C. Camillo & I. P. Farias(2017): Polyandrous behavior in an overexploited giant South American turtle (Podocnemis expansa) population in Central Amazon, Brazil. – Genetics and Molecular Research 16(1) oder Abstract-Archiv.

Garrick, R. C., E. Benavides, M. A. Russello, J. P. Gibbs, N. Poulakakis, K. B. Dion, C. Hyseni, B. Kajdacsi, L. Márquez, S. Bahan, C. Ciofi, W. Tapia & A. Caccone (2012): Genetic rediscovery of an 'extinct' Galapagos giant tortoise species. – Current Biology 22(1): R10-R11; DOI: 10.1016/j.cub.2011.12.004 ➚.

Hennessy, E. (2015): The Molecular Turn in Conservation: Genetics, Pristine Nature, and the Rediscovery of an Extinct Species of Galapagos Giant Tortoise. – Annals of the Association of American Geographers 105(1): 87-104 oder Abstract-Archiv.

Rogers, R. L. & M. Slatkin (2017): Excess of genomic defects in a woolly mammoth on Wrangel island. – PLOS Genetics 13(3): e1006601 oder Abstract-Archiv.

Zimm, R., B. P. Bentley, J. Wyneken & J. E. Moustakas-Verho (2017): Environmental Causation of Turtle Scute Anomalies in ovo and in silico. – Integrative and Comparative Biology 57(6): 1303-1311 oder Abstract-Archiv.

Galerien