Schnappschildkröte, Chelydra serpentina, – © Hans-Juergen-Bidmon

Congdon - 2015 - 01

Abstracts C Zugriffe: 1995

Congdon, J. D., M. J. Pappas, J. D. Krenz, B. J. Brecke & M. Schlenner (2015): Compass Orientation During Dispersal of Freshwater Hatchling Snapping Turtles (Chelydra serpentina) and Blanding’s Turtles (Emydoidea blandingii). – Ethology 121(6): 538-547.

Kompassorientierung während der Abwanderung von Wasserschildkrötenschlüpflingen der Schnappschildkröte (Chelydra serpentina) und der Amerikanischen Sumpfschildkröte (Emydoidea blandingii).

DOI: 10.1111/eth.12366 ➚

Amerikanische Sumpfschildkröte, Emydoidea blandingii, – © James Harding
Amerikanische Sumpfschildkröte,
Emydoidea blandingii,
© James Harding

Wasserschildkrötenschlüpflinge orientieren sich vorzugsweise an visuellen (sichtbaren) Strukturen, wenn sie vom Nest abwandern, allerdings entwickeln sie sehr schnell eine Beziehung zwischen einem Sonnen abhängigen geomagnetischen Kompass und dem Ziel, was ihnen erlaubt, die angestrebte Richtung einzuhalten, wenn ihr Zielhabitat nicht sichtbar ist. Wir untersuchten die Abwanderungsmuster von Schlüpflingen der Schnappschildkröte (Chelydra serpentina) und der Amerikanischen Sumpfschildkröte (Emydoidea blandingii) in großen Arenen in einem frisch gemähten Feld und innerhalb eines dichten Kornfelds. Die Wanderung von drei Kategorien von Schlüpflingen wurde untersucht: (1) naive Individuen (keine vorhergehende Wandererfahrung), (2) Arena-erfahren (begrenzte Abwanderungserfahrung im natürlichen Habitat), und (3) naturerfahrene Schlüpflinge der Amerikanischen Sumpfschildkröte (die eingefangen worden waren, nachdem sie Abwanderungserfahrungen im natürlichen Habitat hin zum Wohngewässer gesammelt hatten). Die erfahrenen Schlüpflinge wurden in Gruppen unterteilt, wobei eine Gruppe einen Magnet trug, während die andere Gruppe ein nicht-magnetisches Aluminiumstück aufgeklebt bekam, bevor sie im hohen Kornfeld entlassen wurden. Die Abwanderungsmuster der naiven Schlüpflinge beider Spezies zeigten sich im freien Feld mit sichtbarem Zielhorizont streng direktional ausgerichtet, und sie waren im hohen Kornfeld, wenn sie den Horizont nicht sehen konnten, überwiegend zufällig und ungerichtet. Wenn die erfahrenen Schlüpflinge im Kornfeld ausgesetzt wurden, zeigte sich kein Unterschied zwischen den Tieren, die einen Magnet trugen, und jenen, die das nicht-magnetische Aluminum trugen, wobei die Abwanderrichtung von der Richtung im freien Feld abwich, wie bei den naiven Schlüpflingen. Die im natürlichen Habitat erfahrenen Schlüpflinge der Amerikanischen Sumpfschildkröten waren im Gegensatz dazu sowohl mit als auch ohne Magnet in der Lage, ihre erlernte Richtung akkurat einzuhalten, wobei sie sowohl im freien Feld als auch im Kornfeld die WNW Orientierung beibehielten (die Anwesenheit des Magneten störte nicht bei der Einhaltung der früher erlernten Richtung). Basierend auf der Annahme, dass kein weiterer Kompass für die Schlüpflinge existiert, schließen wir daraus, dass sie keine geomagnetische Kompassorientierung nutzen, aber dass sie zur Beibehaltung der Richtung im dichten Kornfeld, wenn sie das Ziel nicht sehen, einen Sonnenkompass nutzen.

Schnappschildkröte, Chelydra serpentina, – © Hans-Jürgen Bidmon
Schnappschildkröte,
Chelydra serpentina,
© Hans-Jürgen-Bidmon

Kommentar von H.-J. Bidmon

Zu diesem Thema der Magnetfeldorientierung sind kurz hintereinander zwei Arbeiten erschienen, die zumindest beide dieselbe Spezies untersuchten, wobei die erste (Landler et al. 2015) einen Einfluss des Magnetfelds feststellt, während die hier angeführte Arbeit dies verneint und den Sonnenkompass als alleinige Orientierungshilfe herausstellt. Was sind also die Unterschiede? Zum einen hat die hier vorliegende Arbeit einen Magneten direkt am Tier angebracht und dabei für zwei Spezies keine Unterschiede im Bezug zu Magnetfeldstörungen gefunden, während die vorherige Arbeit für die Schnappschildkröte festgestellt hat, dass sich die Schlüpflinge sehr wohl entlang der Feldlinien ausrichten, allerdings nicht unbedingt an den Feldlinien eines starken Magneten, sondern an einer relativ schwachen Magnetfeldstrahlungsfrequenz, die man nach ihrem Beschreiber als Larmor-Frequenz bezeichnet. Die Schlüpflinge nutzen diese auch anscheinend nur zur „polgerichteten geographischen“ Ausrichtung ihrer Körperachse, und sie nutzen diese zusammen mit dem Sonnenkompass, um sich eine Basisorientierung zu verschaffen, damit sie erst einmal festlegen können, in welche Richtung es gehen soll. Ob diese Grundorientierung bei den in dieser Arbeit getesteten beiden Spezies auch so funktioniert, haben die Autoren dieser Studie gar nicht untersucht, denn sie haben im zweiten Experiment gezeigt, dass erfahrene Emyoidea blandingii Schlüpflinge sich anscheinend die einmal gelernte Richtung so eingeprägt haben, dass sie sie immer beibehalten können und zwar mit Magnet und ohne. Allerdings frage ich mich schon, wie sie das schafften, denn die obige Arbeit zeigt, dass sich naive und wenig erfahrene Schlüpflinge im hohen Kornfeld nicht orientieren können und zwar sehr wahrscheinlich, weil sie weder am Horizont ihr Ziel erkennen können, noch genug gerichtete Sonneneinstrahlung haben, um ihre Körperachse nach der Larmor-Frequenz auszurichten und sich dann mit Hilfe der Lichteinstrahlung oder dem schwachfrequenten Magnetfeld zu orientieren. Das gleiche Orientierungsproblem sollte es auch für abwanderungserfahrene Schlüpflinge im hohen Kornfeld geben, es sei denn, sie könnten sich mit Hilfe der einmal unter Nutzung der Larmor-Frequenz erlernten Körperachsenausrichtung so positionieren, dass sie sich in die richtige Richtung orientieren können. Letzteres mag zwar nicht so genau sein, aber in etwa dem entsprechen, was die früheren Segelschiffkapitäne auch leisten mussten, wenn sie zwar mit Hilfe ihres Kompass die Richtung festlegen konnten, aber bei über mehrere Tage bedecktem Himmel ohne Besteck (Sextant) und sichtbarem Sternenhimmel ihre exakte Position nicht bestimmen konnten, was oft dazu führte, dass Schiffe etliche Seemeilen vom Kurs abdrifteten. Hätte man aus großer Höhe auf solche Schiffe geschaut, hätten sie sich auch gerichtet in die richtige Richtung fortbewegt, hätten aber dennoch Schwierigkeiten gehabt, ein bestimmtes kleineres Ziel exakt anzusteuern, geschweige denn zu finden. Letztendlich haben die Autoren nicht geprüft, ob die Schlüpflinge wirklich so ihr eigentliches Ziel hätten finden können. Letzteres ist selbst für adulte Schildkröten schwierig, wie die Arbeit von Roth & Krochmal (2015) zeigt, weil anscheinend adulte erfahrenen Schildkröten nur in ihrem Lebensraum in der Lage sind, Langstreckenorientierung anhand der einmal erlernten Bedingungen zielgerichtet anzuwenden.
Zudem sollte man solche Experimente durchaus auch einmal mit Schildkrötenspezies oder Populationen wiederholen, die wirklich nicht nur 10 bis 200 m vom Nest zum Wohngewässer zurückzulegen haben, sondern die wirklich vom Nistplatz bis zum Wohngewässer Entfernungen von weit mehr als einem Kilometer meistern müssen, wie unsere einheimischen brandenburgischen Sumpfschildkröten oder etwa einige der Waldbachschildkröten (Walde et al. 2007).
Wie ich finde, wieder einmal ein schönes Beispiel, dass zeigt, wie komplex die Umweltbedingungen selbst für so genannte niedere Wirbeltiere sind und wie viel Intelligenz ihnen abverlangt wird, mit dieser Komplexität in überlebensfähiger Weise zurecht zu kommen. Außerdem ein Beispiel, wie nicht-linear diese Beziehungen sind, denn die Autoren dieser Studie sind sicher auch erst einmal davon ausgegangen, dass Magnetfeld gleich Magnetfeld ist, aber wie wir sehen, ist dem anscheinend nicht ganz so (siehe Landler et al. 2015).

Literatur

Landler, L., M. S. Painter, P. W. Youmans, W. A. Hopkins & J. B. Phillips (2015): Spontaneous magnetic alignment by yearling snapping turtles: rapid association of radio frequency dependent pattern of magnetic input with novel surroundings. – PLoS One 10(5): e0124728 oder Abstract-Archiv.

Roth, T. C. II & A. R. Krochmal (2015): The Role of Age-Specific Learning and Experience for Turtles Navigating a Changing Landscape. – Current Biology 25(3): 333-337 oder Abstract-Archiv.

Walde, A. D., J. R. Bider, D. Masse, R. A. Saumure & R. D. Titman (2007): Nesting ecology and hatchling success of the wood turtle, Glyptemys insculpta, in Quebec. – Herpetological Conservation and Biology 2(1): 49-60 oder Abstract-Archiv.

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